Er„innere“ dich

Zu Gast bei Anja Kuhn | Podcast-Interview
31. Oktober 2025
Zu Gast bei Anja Kuhn | Podcast-Interview
31. Oktober 2025

Dieser Text ist ein Auszug aus meinem Buch:
"Das habe ich noch nie gemacht, das wird gut ..."

Und damit sind wir schon ganz im nächsten Thema: Er„innere“ dich.

Dabei geht es nicht nur um erinnern, so wie ich es im ersten Teil des Buches gemacht habe: indem ich mich an meine sexuellen Missbrauchserfahrungen erinnert habe und sie aufgeschrieben habe, habe ich für mich schon einen großen Schritt in Richtung Verarbeitung getan.

Wohlgemerkt: das gilt für mich, das muss nicht für dich gelten. Wenn du dir und deinen Erlebnissen auf den Grund gehen möchtest, empfehle ich nach wie vor, einen kompetenten, eine kompetente Therapeut*in aufzusuchen.

Es geht darum, sich zu er„innern“, sich dem eigenen Inneren zuzuwenden. Ins das eigene Innere zu gehen und zu schauen, zu erleben und zu staunen.

Denn in deinem Inneren findest du nicht nur deine Erinnerungen und alles das, was noch zum größten Teil unbewusst ist, sondern du findest vor allem einen ganz besonderen Menschen, dich selbst, dein höheres Selbst.

Und alles an dir selbst ist einfach wunderbar. So wie du bist, ist niemand anderes, du bist unverwechselbar und du wächst mit jedem guten Gedanken, den du dir selbst zukommen lassen darfst. 

Du wächst mit jedem Fitzelchen Liebe, das du dir selbst schenkst. Du darfst dich erinnern an das, was du als Kind warst, bevor du durch die „Schule des Lebens“ gegangen bist, bevor dir gesagt wurde, wie du zu sein hast, was du darfst und nicht darfst, was du zu tun und zu lassen hast und was du später einmal werden solltest. Schau dir einmal kleine Kinder an, die noch ganz bei sich selbst sind. Und ich meine nicht das Alter ab 3, an das du dich vielleicht selbst noch erinnern kannst, sondern die Zeit davor, die Zeit als Baby, als Kleinkind, in der du ganz im Moment gelebt hast, dir noch keine Gedanken über morgen gemacht hast, sondern einfach da warst.

Natürlich weiß ich, dass auch dieses Alter vor Missbrauch und Gewalt nicht gefeit ist. Ich kenne Frauen und Männer, die schon vor ihrem ersten Lebensjahr Dinge erlebt haben, die sie nicht hätten erlebt haben dürfen. Aber schau dir zunächst mal die Kinder an, die noch ohne offensichtliches Trauma da sind – einfach da sind. So warst du auch einmal, ganz im Jetzt, ganz ohne Arg, einfach da.

Verbinde dich einmal mit diesem Kind in dir, es ist immer noch da. Fühle es, halte es und gib ihm/ihr die Liebe, die du vielleicht selbst dann nicht bekommen hast.

Überlege dir dann, was es war, das dir im Älterwerden immer wieder Spaß gemacht hast, worin du ganz aufgehen konntes. Was hast du gern gemacht als kleines Kind, woran erinnerst du dich, wie hat sich das angefühlt?

Beantworte doch einmal in Ruhe diese Lückentexte für dich:

Als Kind ich spielte ich häufig ................................................................ , weil ich ......................................................... und dabei fühlte ich mich ......................

Ich wäre damals manchmal am liebsten  ......................... gewesen, weil ich dann .....................................................  dadurch fühlte ich mich ............................

Mein Traumberuf als Kind war .............................., weil ......................................

Du fragst, warum Lückentexte, was das bringen soll? Ein Erklärungsansatz geht davon aus, dass unser Gehirn automatisch versucht, Lückentexte zu füllen und dabei auf lang verschollenes eigenes Erleben zurückgreift. Bei mir hat das gut funktioniert:

Ich erinnerte mich z.B. dass ich immer schon eine Vorliebe für Geschichten hatte. Das ich in ihnen gelebt habe, dass ich selbst Geschichten erzählt habe. Und ich erinnere mich, wie sich das angefühlt hat, ich war dann ganz bei mir, fühlte mich glücklich.

Als ich älter wurde, als Schulkind, hatte ich eine Zeitlang Schlafstörungen – wen wundert´s bei meiner Geschichte.

Damals habe ich das Setting einer Geschichte entworfen, das ich heute immer noch genau erinnere. Es ging um zwei Mädchen, Zwillinge, Janis und Melanie, die auf einer Pferde- und Schlangenfarm in den USA lebten und um ihre Abenteuer. Warum Pferde und Schlangenfarm? Ich liebte immer schon Pferde und mich faszinierten Schlangen. Und ich stellte mir vor, dass durch die Impfung der Pferde mit Schlangengift das Serum später aus ihrem Blut gewonnen werden konnte und so die Pferde indirekt halfen, Menschen zu retten, die von einer Schlange gebissen worden waren. Ob das so passiert in der Gewinnung von Gegengiften kann ich dir nicht sagen. Es war reine Phantasie – vielleicht sollte ich dieses Prinzip mal im Netz eingeben.

(Jetzt, wo ich diesen Teil meines Buches als Blogartikel auf meine Homepage setze, weiß ich, dass das im Ansatz stimmt. Woher ich damals das wusste, kann ich dir allerdings nicht sagen...)

Am nächsten Morgen konnte ich immer genau sagen, wann ich eingeschlafen war, weil ich die Geschichte ja schon kannte. Besonders gern habe ich mit 8-9 Jahren das Haus und die Zimmer der Familie eingerichtet, alles war geräumig und großzügig. Als 10-11 Jährige habe mich dann dem Aussehen von Janis zugewendet, meinem Alter Ego – so sehe ich das heute. Sie hatte eine tiefe Narbe im Gesicht.

Im Nachhinein finde ich allein dieses bemerkenswert, weil ich da schon meiner eigenen Verletzung im Inneren im Außen ein Bild gegeben habe. Etwas später habe ich dann die Geschichte zu der Narbe erfunden – ein Brand im Pferdestall, bei dem Janis die Pferde gerettet hat.

Aber zurück zu dir:

Mit Hilfe der oben genannten Lückentextes fallen dir eine Reihe von Geschichten von dir als Kind in den unterschiedlichen Altersstufen ein. Sie sind alle noch da und warten darauf entdeckt zu werden, damit du erneut in deine Welt als Kind eintauchen, dich mit deinem inneren Kind verbinden kannst.

Du kannst dich auch vertiefend mit folgenden Lückentexten befassen:

Meine Held*innen waren über lange Zeit........................... ..............................., 

weil sie .................. .........................................................................................

Meine Lieblingsbücher, Lieblingsfilme waren ....................................................., weil sie ................................ und ich mich dadurch ................................... fühlte.

Was glaubst du wohl waren meine Helden? Genau! Natürlich Pippi Langstrumpf, aber auch Hanni und Nanni und Clarence, der schielende Löwe aus „Daktari“. Warum wohl? Eben! Weil sie anders waren, als alle anderen, oder sogenannte Makel hatten.

Ich fühlte mich damals wohl und zu Hause in der von mir erfundenen und in der von mir präferierten Welt meiner Held*innen.

Und erfahren, bzw. ausgebuddelt habe ich das alles in meiner „Big five for life -Ausbildung“ .[1]

Was hatte das für Auswirkungen? Ich habe festgestellt, was neben den traumatischen Kindheitserlebnissen noch alles in meiner Kindheit los war und was für Vorlieben schon in der Kindheit in mir angelegt waren.

Was ich gut konnte z.B.: Geschichten erzählen und erfinden - bis heute liebe ich es! Daraus ist das „Bücher schreiben“ entstanden.

Dazu fällt mir ergänzend der Spruch ein:

„Es ist nie zu spät für eine schöne Kindheit.“[2]

Und ja, für mich war das der Durchbruch in dem Bestreben, mich selbst anzunehmen und zu lieben. Herauszufinden, was ich in der Kindheit schon geliebt habe, war für mich ein wirklicher Gamechanger.

Seitdem ist mir klar geworden, dass ich eben nicht völlig unbegabt und peinlich und wenig liebenswert bin. Sondern dass ich stattdessen kreativ bin und mit einer Grenzen überschreitenden Phantasie ausgestattet.

Das hilft mir heute enorm als Autorin und natürlich auch als Coachin. Und ich weiß dadurch, dass viel mehr in uns steckt als das, was im Erziehungsprozess von uns übrig geblieben ist. Versteh mich an dieser Stelle nicht falsch.

Ich möchte mich weder über die Erziehung meiner Eltern beschweren, noch über das Schulsystem. Ich kann aber heute deutlich erkennen, dass sie mir damals nicht gerecht geworden sind, weder meine Eltern, noch die Schule. Das meine Kreativität als „Blühende Phantasie“ abgetan wurde, ist dabei nur eine kleine Sache. Das ich in der Schule so stark auf Anpassung an den Mainstream gezogen wurde ist eine andere. Auch darüber dürfen wir später noch sprechen.

Und heute fällt es mir durch diese Entdeckungen leicht, mich selbst zu lieben, mich weiterzuentwickeln – eben hin zu dem, wovon ich träume, was meine Vision von unserer Welt ist.

[1] Diese Lückentexte z.B. habe ich frei nach den Lückentexten von John Strelecky formuliert.

[2] Unter diesem Titel hat Ben Furman ein Buch geschrieben, gib den Namen einfach mal in deine Suchmaschine, vielleicht ist es interessant für dich.